Ludwigs
Burg
Festival

Physikalität von Musik: Diego Noguera im Gespräch 

Über das elektronische Musikstück »Freiheit/Extasis« und die Begeisterung, für und mit Tanz zu komponieren

Diego Noguera gehört bereits zu den wichtigsten Namen der experimentellen Musikszene in Berlin und komponiert für Film, Theater und Tanz. In Chile geboren, erlebte Diego Noguera voller Begeisterung Sasha Waltz & Guests bereits vor 15 Jahren auf dem internationalen Theater Festival »Santiago a mil«: »Das waren andere Zeiten, da konnte man solche Stücke nicht einfach auf YouTube anschauen. Wenn so etwas nach Chile kam, dann hat es die Kunstlandschaft verändert.« Damals hätte Noguera nicht gedacht, dass sich in Berlin eine Zusammenarbeit mit der Compagnie ergeben würde. Für den Tanzabend »Beethoven 7« entstand mit »Freiheit/Extasis« ein vollkommen neues Hörerlebnis. 

Der zweiteilige Tanzabend »Beethoven7« verbindet dein elektronisches Stück »Freiheit/Extasis« und Beethovens siebte Sinfonie miteinander – wie kann das gelingen?   

Die Menschen erwarten Beethovens Siebte und dann kommt das (lacht). Sasha Waltz hatte die Idee einer Erweiterung der Sinfonie, einer Art fünfter Satz. In »Beethoven 7« ist dieser Teil nun vorangestellt. Ich habe mich von Ludwig van Beethovens Sinfonie inspirieren lassen, um etwas Gegenteiliges zu machen. Beethoven arbeitet mit kontrastreichen Bildern: erstes Bild, zweites Bild, drittes Bild, dann eine Mischung aus erstem und zweitem Bild. »Freiheit/Extasis« aber ist ein Konglomerat, ein Klangteppich aus langanhaltenden Sounds und hervor tönenden Rhythmen. In Beethovens Werken meine ich immer ein Chaos zu hören, das hinter den Melodien verborgen zu sein scheint. »Freiheit/Extasis« bringt dieses Chaos geradezu bedrängend hervor.


Welche musikalischen Mittel lassen dieses Chaos erklingen? 

Das Publikum bekommt einen Gehörschutz und das lässt darauf schließen, es gehe um Lautstärke. Allerding wirkt vielmehr als die Lautstärke vor allem Druck auf den Körper ein. Das ist die Besonderheit von »Freiheit/Extasis«, die Physikalität. Dieser Druck täuscht die Sinne, die Wahrnehmungsebenen Hören, Spüren und Sehen verschmelzen untrennbar miteinander. Wir wissen nicht, ob gerade eine Melodie zu hören ist oder ob es nur unsere Perzeption ist, die aus all den Sinneseindrücken eine Melodie zusammensetzt. Durch den Druck wird die Musik zu einem physischen Erlebnis.


Und wie komponierst du so etwas? 

Zum einen nutze ich einen Modular-Synthesizer für dieses Stück, weil ich diesen für besonders flexibel halte. Das ist wichtig, um für Tanz zu komponieren. Elektronische Instrumente sind häufig zu unflexibel und steif. Mit dem Modular-Synthesizer habe ich mehr Freiheit in der Arbeit mit Frequenzen und Rhythmen. Gleichzeitig bin ich etwas besessen von Strukturen. Das ganze Stück ist genau gezählt und getaktet, aber das ist nur für mich relevant und ist nicht zu hören. Mir ist wichtig, dass meine Musik nicht kognitiv erfasst wird. 


Was ist stattdessen zu hören?

Für die Variabilität arbeite ich mit Sounddesign. In der Musik gelingt es so, aus langen Drones, also langanhaltenden Klängen, hin zu etwas wirklich Rhythmischem und Konkretem zu gelangen, ohne, dass es sich wie eine Ohrfeige anfühlt. Die Veränderungen mischen sich so unbemerkt ein, dass sie dann ganz plötzlich erscheinen. Bereits in den gemeinsamen Proben entschieden wir uns dafür, dass das Gefühl entstehen soll, es gäbe in dieser Musik keine Grenzen. Ewige Glissandi, die nie ein Ziel zu erreichen scheinen, schrauben sich immer weiter in die Höhe. Es soll so klingen, als ob es für immer weitergeht. Natürlich ist das auch anstrengend. So ist Chaos. Das Publikum soll tief im Bauch die Musik spüren und sich am liebsten mit bewegen wollen. 


Du sprichst von gemeinsamen Entscheidungen: Wie gestaltete sich deine Zusammenarbeit mit den Tänzer*innen?  

Ich bin mit meinen Instrumenten zur Probe gegangen, wir haben ein kleines Set aufgebaut und durch Improvisation gemeinsam das Stück entwickelt. Wenn du direkt zu den Tanzenden spielst, siehst du genau, was die Körper bewegt und was nicht. Wenn es eine Reaktion gibt, siehst du, wohin diese Reaktion führt. So fanden wir eine gemeinsame Sprache und den gemeinsamen Weg, den das Stück einschlagen sollte.


Worauf freust du dich besonders bei der Aufführung?  

Großartig ist, dass ich alles live spiele, denn so kann ich immer auf die Tanzenden reagieren und Teil der Performance sein. Ich bin jedes Mal begeistert, wie die Tänzer*innen mit dem Zeitgefühl spielen, es verzerren und sich ihren Weg durch die Frequenzen bahnen. Sie kreieren so ihre ganz eigenen musikalischen Linien.


Am 6. und 7. Juni erwartet Sie der spannungsvolle Tanzabend »Beethoven7« der Sasha Waltz & Guests Compagnie im Forum Ludwigsburg.


Diese Veranstaltung ist Teil des Tanz-Abos und ist zusammen mit »Akram Khan Junglebook« zu einem um 20 Prozent vergünstigten Kartenpreis erhältlich.


Empfohlen ab 10 Jahren


Bild © Doro Zinn

In »Freiheit/Extasis« bewegen sich die Tänzer*innen durch die Frequenzen der Musik  hindurch.

© Sebastian Bolesch

»Freiheit/Extasis«

© Sebastian Bolesch

»Freiheit/Extasis«

© Sebastian Bolesch

»Freiheit/Extasis«

© Sebastian Bolesch

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