Verschränkung der Künste
Musik & Bildende Kunst im Dialog
Musik & Bildende Kunst im Dialog
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele bieten dieses Jahr nicht nur musikalische Erlebnisse, sondern mit der Ausstellung von Vera Mercers Fotografien auch einen spannenden Einblick in die Welt der Bildenden Kunst. Anlass genug, sich intensiver mit der Verbindung zwischen Musik und Kunst auseinanderzusetzen. Bildende Künstler*innen und Komponist*innen eint der gemeinsame Ursprung und die gegenseitige Inspiration, und auch wenn diese beiden Kunstformen auf den ersten Blick unterschiedliche Sprachen sprechen, stehen sie im ständigen Dialog miteinander. Eine Verbindung, ohne die vermutlich viele Kunstwerke und Kompositionen, die auch bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen aufgeführt werden, nie entstanden wären.
Musik und Bildende Kunst unterscheiden sich grundlegend in ihrer Struktur und Wahrnehmung: Während die Bildende Kunst als visuelles Medium im Raum existiert, entfaltet sich Musik in der Zeit. Gotthold Ephraim Lessing formulierte bereits 1766 treffend, dass »Farben keine Töne und […] Augen keine Ohren sind«. Bildende Kunst und Musik werden demnach mit ganz verschiedenen Sinnen erfahren.
Obwohl Bildende Kunst und Musik auf zwei unterschiedlichen Zeichensystemen beruhen und sich medial auf unterschiedliche Weise realisieren, teilen beide Künste einen gemeinsamen Ursprung. Auf diesen gemeinsamen Ursprung bezieht sich bereits Johann Wolfgang von Goethe, der in seiner Farbenlehre (1810) die enge Verbindung dieser beiden Künste beschrieb: Farbe und Ton seien »wie zwei Flüsse, die auf einem Berg entspringen« – zwei Ströme, die aus derselben Quelle gespeist werden. Diese Ursprungsquelle sei das künstlerische Schaffen selbst – ein Prozess, der sowohl individuelle als auch kollektive Ausdrucksformen ermöglicht. Auch wenn Musik und Bildende Kunst sich aus unterschiedlichen Elementen wie Ton, Melodie, Tempo, Farbe, Form und Textur zusammensetzen, basieren sie auf den gleichen Methoden: Komposition, Harmonie, Dissonanz, Rhythmus und Dekonstruktion.
Nicht nur der kreative Schaffensprozess und die Verwendung gleicher Methoden verbinden sie, sondern auch ihre Wirkung: Beide Künste können rein ästhetische Erlebnisse bieten, die die Betrachtenden oder Zuhörenden in eine emotionale Welt entführen, aber auch gleichzeitig tiefere gesellschaftliche, kulturelle oder philosophische Fragestellungen aufwerfen. Sie schaffen es, Menschen auf verschiedenen Ebenen zu erreichen und zu bewegen – sei es durch die unmittelbare Wirkung eines Klanges oder optischen Eindrucks. Spätestens die Avantgardist*innen etablierten, dass diese – im Goethe’schen Sinne – Flüsse nicht nur einen gemeinsamen Ursprung haben, sondern auch in ihrem Verlauf aufeinandertreffen und sich kreuzen können.
Ein Blick in das diesjährige Programm der Schlossfestspiele offenbart diese Verbindung und lenkt den Fokus auf einige Werke und Komponisten, die durch die Verschränkung von Musik und Bildender Kunst geprägt wurden. Sie zeigen eindrucksvoll, wie beide Kunstformen miteinander kommunizieren, sich ergänzen und bereichern.
Ein herausragendes Beispiel dieser intermedialen Bezüge ist Modest Mussorgskys (1839–1888) Klavierzyklus »Bilder einer Ausstellung«. Inspiriert von Aquarellen, Zeichnungen, Architekturskizzen des Malers und Architekten Victor Alexandrowitsch Hartmann (1834–1873), transformierte Mussorgsky die visuelle Welt seines Freundes in musikalische Stimmungsbilder.
Diese Verbindung zwischen Musik und Bildender Kunst fand Jahrzehnte später eine bemerkenswerte Fortsetzung: 1928 griff Wassily Kandinsky (1866–1944) diesen Dialog auf, indem er für eine szenische Aufführung von Mussorgskys Werk in Dessau dessen musikalische Eindrücke wieder zurück in Bilder übersetzte – ein faszinierender Zyklus der gegenseitigen Reflexion.
Kandinskys Auseinandersetzung mit Musik reicht jedoch weiter zurück, unter anderem bis zu seiner Begegnung mit dem Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951). Die beiden Künstler nahmen nicht nur in ihrer Kunst Bezug aufeinander, sondern trafen sich persönlich und standen für eine lange Zeit regelmäßig in Korrespondenz. 1911 besuchte Kandinsky ein Konzert mit Schönbergs Kompositionen auf dem Programm. Er war dabei so fasziniert von Schönbergs Musik, dass er dieses Erlebnis in dem Gemälde »Impression III (Konzert)« festhielt. In Schönbergs Atonalität sah Kandinsky eine Parallele zur Auflösung des Gegenständlichen in der Malerei und fand darin eine tiefe emotionale Ausdrucksweise. So schreibt Kandinsky: »Schönbergs Musik führt uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen sind, sondern rein seelische.« Durch die Freundschaft zu Kandinsky versuchte sich auch Schönberg an der Bildenden Kunst und durfte drei seiner Werke bei der ersten Ausstellung des »Blauen Reiters« in München präsentieren. Auch wenn diese Freundschaft nicht von Bestand war, ist sie ein Sinnbild des künstlerischen Austauschs.
Auch der Komponist Franz Liszt (1811–1886) ist für seine Verbindung zur Bildenden Kunst bekannt. Inspiriert von Kunst und Architektur begann er auf seiner Italienreise von 1837 bis 1839 konkrete Bilder in seine Musik zu adaptieren. Dabei entstanden Klavierstücke wie »Lo Sposalizio« aus »Années de Pèlerinage« oder »Il Penseroso«, die sich auf das Gemälde von Raffael (1483–1520) und die Statue von Michelangelo (1475–1564) beziehen. Die Bildende Kunst als Inspirationsquelle zieht sich weiter durch Liszts künstlerisches Schaffen. So basiert seine sinfonische Dichtung »Hunnenschlacht« auf einem Gemälde von Wilhelm von Kaulbach (1805–1874), während »Von der Wiege bis zum Grabe« vermutlich auf einem Werk von Mihály Zichy (1827–1906) beruht. Auch sein »Totentanz« wurde von Darstellungen von Orcagna (um 1308–1368) und Holbein (1465–1498) inspiriert. Liszt betrachtete die Musik dabei nicht isoliert, sondern als eine Kunstform, die in enger Verbindung mit Literatur und Bildender Kunst steht. Er verstand Musik als eine kreative Fortführung von visuellen und literarischen Werken und versuchte, in seinen Kompositionen die Ausdruckskraft dieser Künste weiterzuführen.
Im Gegensatz zu Liszts und Mussorgskys konkreten Verbindungen von Kompositionen und Bildender Kunst treten diese bei Claude Debussy (1862–1918) vielmehr indirekt und subtil zum Vorschein. Ein Maler, von dem die musikwissenschaftliche Forschung häufige Parallelen zu Debussy zieht, ist Claude Monet (1840–1926). Auch wenn Monet und Debussy sich nicht persönlich kannten, korrespondierten sie in Bezug auf ihre ästhetischen Konzepte. Monet und Debussy verband eine tiefe Faszination für die Natur und das Wasser. Monet malte Flüsse, das Meer und seine berühmten Seerosen, während Debussy mit Werken wie »La Mer« und »Reflets dans l’eau« das Wasser klanglich einfing. Beide schufen impressionistische Stimmungsbilder – Monet mit Farben und Licht, Debussy mit schimmernden Klängen und fließenden Harmonien. Diese Parallelen erkannte der französischen Kritiker Emile Vuillermoz, dem Debussy schrieb: »Es ehrt mich sehr, dass Sie mich einen Schüler von Monet nennen.«
Doch nicht immer werden Gemälde in Musik sichtbar, sondern Musik erklingt auch in Gemälden: Paul Klee (1879–1940) war ein Bewunderer von Johann Sebastian Bach (1685–1750) und ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Verbindung von Kunst und Musik über Epochengrenzen hinausgeht. Besonders Bachs Polyfonie – die Mehrstimmigkeit unabhängiger Stimmen in einem Musikstück – inspirierte Klee so sehr, dass er es ihm in seiner Malerei gleichtat. Mit seinem Gemälde »Fuge in Rot« spielte er nicht nur im Titel auf die musikalische Fuge an, sondern transferierte auch die Kompositionstechnik auf die malerischen Mittel. Durch die Schichtung, Wiederholung und Variation geometrischer Formen greifen die malerischen Elemente wie in einer Fuge eigenständig, aber harmonisch ineinander.
All diese Beispiele veranschaulichen, dass kreative Prozesse oft nicht isoliert ablaufen, sondern in einem stetigen Dialog stehen. Ob Mussorgsky und Hartmann, Debussy und Monet oder Kandinsky und Schönberg – immer wieder ergaben und ergeben sich neue, inspirierende Perspektiven, die die Grenzen der einzelnen Künste überwinden.
Auch die Ludwigsburger Schlossfestspiele bieten dieses Jahr die Gelegenheit dafür, dies zu entdecken: Die alte Porzellanmanufaktur – einst ein Ort der kunstvollen Herstellung und Bemalung von Porzellangeschirr und -figuren – war schon immer eng mit der Bildenden Kunst verbunden. Bereits vor fast 300 Jahren ließ hier der Bildhauer Johann Wilhelm Beyer (1725–1796) Musik in die Bildende Kunst einfließen, indem er Musiker*innen als Porzellanfiguren – sogenannte Musikoli – darstellte. Die Schlossfestspiele laden dazu ein, das Zusammentreffen der Künste dort selbst zu erleben. Schließlich werden in der alten Porzellanmanufaktur nicht nur verschiedene Fotografien von Vera Mercer ausgestellt sein, sondern auch das Konzert der Violinistin Rakhi Singh am 14. Juni stattfinden.
Im weiteren Repertoire der Festspiele lassen die Klavierkonzerte mit Jean-Paul Gasparian (28. & 29 Juli) und Alexander Gadjiev (3. Juli) die von Bildern geprägte Musik von Liszt, Debussy und Mussorgsky erklingen. Auch Schönbergs und Bachs Melodien, welche Kandinsky und Klee in Farbe und Form zu übersetzen versuchten, werden mit den Stimmen von Benjamin Appl (13. Juli) und der Gaechinger Cantorey (16. & 18. Juli, 14. September) zum Ausdruck gebracht.
Erleben Sie die Konzerte live bei den Schlossfestspielen:
SA 14. Juni RAKHI SINGH
DO 3. Juli ALEXANDER GADJIEV
SO 13. Juli BENJAMIN APPL
MI 16. & 18. Juli GAECHINGER CANTOREY
MO 28. & DI 29. Juli JEAN-PAUL GASPARIAN
SO 14. September GAECHINGER CANTOREY